Der deutsche Rap hat in den letzten zehn Jahren kaum eine Figur hervorgebracht, die so prägend und gleichzeitig so widersprüchlich ist wie Haftbefehl. Seine Musik, ein kompromissloser Spiegel des Straßenlebens aus Offenbach, machte ihn zum Liebling des Feuilletons und zur Ikone einer ganzen Generation. Doch hinter dem brachialen Alter Ego „Haftbefehl“ verbirgt sich Aykut Anhan, ein Mann, der seit Jahren einen verzweifelten Kampf gegen seine Drogensucht führt. Die neue, von Elyas M’Barek produzierte Netflix-Dokumentation „Babo – Die Haftbefehl-Story“ zeigt diesen Überlebenskampf in aller Härte und liefert ein ungeschöntes Porträt, das weit über die üblichen Künstler-Biografien hinausgeht. Sie beleuchtet, wie tief die Traumata der Kindheit reichen und wie Kokain zur täglichen Praxis wurde, die den Künstler beinahe das Leben kostete und seine Familie an den Rand des Zusammenbruchs brachte. Die ehrliche Auseinandersetzung mit dem Drogenkonsum und den psychischen Belastungen des Rappers bricht mit den Klischees des Gangsta-Rap und zeigt die verheerenden Folgen des „Rockstar-Lebens“. Die auch die Redaktion von Nume.ch.
Die Fassade des „Babo“ und die Realität von Aykut Anhan
Die Figur Haftbefehl, bürgerlich Aykut Anhan, geboren 1985 in Offenbach am Main, revolutionierte mit seinem hessischen Straßen-Slang und Alben wie „Russisch Roulette“ (2014) die deutsche Rapszene. Er wurde zur kulturellen Identifikationsfigur, die Echtheit und Härte verkörperte. In der Dokumentation wird jedoch deutlich, dass diese Kunstfigur eine schwere Bürde für den Menschen Aykut Anhan darstellt. Die Ehefrau Nina Anhan spricht offen darüber, den Aykut zu lieben, aber den Haftbefehl zu verabscheuen, da das Alter Ego „schon einiges zerstört“ habe. Diese Ambivalenz ist der Kern der Netflix-Doku, die nicht versucht, den Künstler zu glorifizieren, sondern den Menschen hinter dem Mythos freilegt, der seit seinem 13. Lebensjahr Kokain konsumiert. Die Filmemacher, darunter die Regisseure Juan Moreno und Sinan Sevinç, zeigen schonungslos, wie der Rapper auf der Bühne zusammenbricht, wie er sich Infusionen legen lässt, bevor er auftritt, und wie die Sucht sein Familienleben nachhaltig prägt. Die Unzuverlässigkeit und die Abstürze sind in diesem Kontext keine Attitüde mehr, sondern die tägliche Realität eines Mannes, der mit den Schatten seiner Vergangenheit kämpft.

Die Dokumentation beleuchtet insbesondere die tiefen Narben, die der Verlust seines Vaters hinterließ. Experten sehen in solchen Kindheitstraumata oft die Ursache für spätere Suchterkrankungen und psychische Probleme.
Haftbefehl: Künstlername und bürgerliche Identität
| Name | Rolle und Bedeutung | Hintergrund-Fakten |
| Haftbefehl (Künstlername) | Die Figur des kompromisslosen Gangsta-Rappers, prägend für Deutschrap seit 2010. | Der Name rührt von einem tatsächlichen Haftbefehl wegen Drogenhandels im Jahr 2006. |
| Aykut Anhan (Bürgerlicher Name) | Der Mensch hinter dem Künstlernamen, Ehemann und Vater. | Geboren am 16. Dezember 1985 in Offenbach am Main, kurdisch-zazaischer Abstammung. |
| Babo (Titelzusatz der Doku) | Kultwort, das durch Haftbefehls Song „Chabos wissen wer der Babo ist“ (2013) populär wurde. | Slang-Begriff, der ursprünglich „Boss“ oder „Anführer“ bedeutet. |
Drogenkonsum und der Abgrund: Der Kampf gegen Kokain
Der Umgang mit Drogen, insbesondere Kokain, wird in der Dokumentation nicht nur thematisiert, sondern in seiner verheerenden, lebensbedrohlichen Dimension dargestellt. Der Rapper spricht offen darüber, wie er zehn Gramm Kokain konsumierte, weil er nicht mehr leben wollte. Solch ein schonungsloser Einblick ist selten und macht die Doku zu einem wichtigen Zeitdokument über die Schattenseiten des Ruhms. Die Sucht ist in Haftbefehls Leben eine konstante Präsenz, die seit seiner Jugend in Offenbach existiert. Diese Offenheit ist bemerkenswert, da im Genre des Deutschrap der Drogenkonsum oft romantisiert oder verherrlicht wird, während die Doku die hässliche Realität des Absturzes zeigt.
Die dokumentierten Zusammenbrüche und Tour-Absagen aus gesundheitlichen Gründen im Jahr 2022 waren die öffentliche Folge des jahrelangen Konsums, die nun in der Doku detailliert beleuchtet werden. Die Aussagen seiner Wegbegleiter und vor allem seiner Ehefrau Nina verdeutlichen, dass Haftbefehl nicht nur seine eigene Gesundheit aufs Spiel setzte, sondern auch das Vertrauen seiner engsten Bezugspersonen massiv beschädigte.

Forschungen des Drogen- und Suchtberichts 2024 zeigen, dass der Kokainkonsum in Deutschland zugenommen hat, wobei der Einstieg oft bereits in jungen Jahren erfolgt. Die Doku kann in diesem Kontext als ernüchterndes Beispiel dienen. Der Produzent Benjamin Bazzazian beschreibt Haftbefehl zwar als „kompromisslos und extrem“, was seinen künstlerischen Ausdruck angeht, doch diese Kompromisslosigkeit übersetzte sich in seinem Privatleben in einen unkontrollierten Umgang mit Suchtmitteln. Die Doku zeigt somit eine Geschichte über das Überleben, die Mut zur Ehrlichkeit erfordert.
- Die vier Phasen des Absturzes, beleuchtet in der Doku:
- Jugendliche Traumata: Der Tod des Vaters und die traumatischen Erfahrungen, die zur frühen Drogenaufnahme führten.
- Der Aufstieg und der Druck: Der kommerzielle Erfolg und die Erwartung, das „Babo“-Image aufrechtzuerhalten, steigern den Konsum.
- Physischer Zusammenbruch: Auftritte unter extremen Bedingungen, Infusionen vor der Bühne und der erste Zusammenbruch im Jahr 2022.
- Der Kampf um die Familie: Die schonungslose Konfrontation mit seiner Frau Nina und die Erkenntnis, dass das Alter Ego die Ehe zerstört.
- Die dokumentarische Therapie: Die Öffnung vor der Kamera als Versuch, die Realität nicht zu verschweigen und einen möglichen Wendepunkt zu markieren.
Kritiker und Wegbegleiter: Die Reaktionen der Szene
Der Aufstieg und das Leben von Haftbefehl, der mit bürgerlichem Namen Aykut Anhan heißt, wurde von Beginn an von anderen Größen der deutschen Musikszene begleitet. In der Dokumentation kommen zahlreiche prominente Wegbegleiter zu Wort, die das komplexe Phänomen Haftbefehl beleuchten. Die Gastauftritte von Rappern wie Marteria, Jan Delay, Kool Savas, Bausa und Peter Fox sowie seines engen Vertrauten und kürzlich verstorbenen Xatar unterstreichen die enorme kulturelle Relevanz des Offenbachers. Die Kommentare sind oft von tiefer Ehrfurcht geprägt, beschreiben Haftbefehl als „unantastbar“ und „den besten Rapper, den es je gab“. Dies steht im krassen Gegensatz zu den privaten Bildern, die ihn als unkontrollierten, von der Sucht getriebenen Mann zeigen, der seine Frau zum Weinen bringt.

Xatar beschreibt die paradoxe Situation Haftbefehls treffend: „Egal, was er macht – es sieht immer so aus, als wäre das der Moment, in dem er alles verkackt.“ Diese Aussage fasst die öffentliche Wahrnehmung und das private Chaos des Künstlers zusammen. Die Doku dient damit auch als Spiegel für eine Gesellschaft, die von ihren Idolen Echtheit fordert, aber oft erst beim Absturz wirklich hinschaut. Die Filmemacher nutzen diesen Kontrast bewusst, um die Ambivalenz des Ruhms und die psychischen Kosten des extremen Lebensstils aufzuzeigen. Die Interviews mit der Familie, insbesondere mit seiner Frau Nina, sind dabei der emotionalste Ankerpunkt, da sie nicht die Künstler-Dramaturgie, sondern die menschlichen Konsequenzen in den Vordergrund stellen.
Bezugsquelle der Dokumentation Babo – Die Haftbefehl-Story
Die 92-minütige Dokumentation „Babo – Die Haftbefehl-Story“ ist eine exklusive Produktion des Streamingdienstes Netflix und wurde von Juan Moreno und Sinan Sevinç inszeniert, wobei Elyas M’Barek als Produzent beteiligt war. Die Erstveröffentlichung erfolgte am 28. Oktober 2025 und die Doku stieg bereits nach einem Tag auf Platz eins der Netflix-Charts, was die hohe öffentliche Aufmerksamkeit für das ungeschönte Porträt bestätigt.
So sehen Sie „Babo – Die Haftbefehl-Story“:
- Plattform: Netflix (exklusiv)
- Startdatum: 28. Oktober 2025
- Länge: 92 Minuten (Dokumentarfilm)
- Genre: Dokumentation/Musik-Biografie
- Thematischer Fokus: Der Aufstieg von Haftbefehl, die Auswirkungen des Ruhms, Kokainsucht und Kindheitstraumata.
Der Film beleuchtet nicht nur die musikalischen Meilensteine, darunter das wegweisende „Das Schwarze Album“ (2021), sondern vor allem die psychologischen Abgründe des Protagonisten. Die Geschichte von Aykut Anhan ist eine Mahnung vor den Gefahren der Sucht und dem Druck des öffentlichen Lebens. Das Werk bietet die seltene Gelegenheit, einen Blick hinter die Fassade einer Musik-Ikone zu werfen, um zu verstehen, dass Authentizität und Selbstzerstörung oft eng beieinander liegen. Die Dokumentation ist mehr als eine Künstler-Doku; sie ist eine schonungslose Studie über das Überleben und die Komplexität menschlicher Widersprüche.
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