Im neuen Film 28 Years Later entwirft Regisseur Danny Boyle das Bild eines Großbritanniens, das nach Brexit, gesellschaftlichem Zerfall und internationaler Isolation kaum wiederzuerkennen ist. Verlassene Städte, verrottende Züge und Menschen, die wütend und ziellos durch die Natur irren – der Film lässt offen, ob diese postapokalyptische Landschaft reine Fiktion oder eine düstere Spiegelung unserer Gegenwart ist. NUME.ch berichtet darüber unter Berufung auf ein Interview des Regisseurs mit der britischen Zeitung The Guardian.
Boyle und Drehbuchautor Alex Garland kehren damit zu ihrer Zombie-Saga zurück, die 2002 mit 28 Days Later begann. Was damals als spekulative Dystopie galt, wirkt heute beinahe prophetisch: Brexit, Pandemie, gesellschaftlicher Rückzug – vieles davon ist heute Realität. „Die Leere britischer Städte war damals eine Vorstellung“, sagt Boyle. „Nach Covid fühlt sich das wie ein Probelauf an.“
Der neue Film bildet den Auftakt einer geplanten Trilogie. Der zweite Teil (The Bone Temple) ist bereits abgedreht, doch Sony Pictures hat den finalen dritten Teil bislang nicht finanziert. Boyle lobt den Wagemut von Studio-Chef Tom Rothman – warnt aber zugleich: „Wenn 28 Years Later floppt, hängt der zweite Film in der Luft.“
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der zwölfjährige Spike (Alfie Williams), der gegen den Willen seiner Eltern (Jodie Comer, Aaron Taylor-Johnson) das geschützte Inselparadies verlässt und sich auf eine riskante Reise über das verseuchte Festland begibt. Dort begegnet er wilden Zombies, gefährlichen Psychopathen – und Ralph Fiennes als mysteriösem, orangehäutigen Arzt. Die Handlung endet offen. Absichtlich, wie Boyle betont: „Der wahre Horror ist nicht das Monster – sondern das, was danach kommt.“
Boyle, der mit Trainspotting zur Stimme der Cool-Britannia-Ära wurde und 2012 die spektakuläre Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele inszenierte, blickt heute kritischer auf Vergangenheit und Gegenwart. Auch seinen Oscar-prämierten Film Slumdog Millionär beurteilt er rückblickend differenziert: „Den Film würde man heute nicht mehr drehen – und das ist auch gut so.“ Obwohl damals mit indischem Team gearbeitet wurde, sei kulturelle Aneignung eine reale Problematik: „Man bleibt als westlicher Filmemacher ein Außenseiter.“
Trotz aller Krisen ist Boyle kein Pessimist. Im Gegenteil: „Ich sehe in der jungen Generation ein Upgrade. Sie ist reflektierter, informierter und weltoffener.“ Auch politisch sieht er sein Heimatland auf einem vergleichsweise stabilen Kurs: „Wir haben bislang dem Rechtsruck widerstanden und Keir Starmer gewählt – das ist keine Selbstverständlichkeit.“
Seine Skepsis richtet sich eher gegen die Medienlogik. „Diese ständige Katastrophisierung verändert unser Denken. Ich versuche, mich davon zu lösen.“ Als Künstler sehe er sich als Pop-Regisseur mit rebellischer Seele: „Ich will das Publikum mitnehmen – aber auch herausfordern.“ Das sei widersprüchlich, räumt er ein – aber letztlich ehrlich.
Wie sein Filmheld Spike glaubt Boyle an Aufbruch und Veränderung – auch im Angesicht des Schreckens. 28 Years Laterist für ihn nicht nur Horror, sondern auch ein Statement über Mut, Wandel und Hoffnung.
Kinostart in der Schweiz
28 Years Later startet am 27. Juni 2025 in den Kinos der Schweiz. Mehrere Programmkinos in Zürich, Bern, Basel und Luzern haben bereits Sondervorstellungen und englischsprachige Originalfassungen angekündigt. Angesichts des großen Interesses an dystopischen Stoffen dürfte der Film auch hierzulande auf ein breites Publikum treffen – besonders in einer Zeit, in der politische Unsicherheit, Klimakrise und gesellschaftliche Spaltung nicht nur Fiktion, sondern tägliche Realität sind.
Hintergrund: Wer ist Danny Boyle
Danny Boyle (1956 in Manchester) zählt zu den bedeutendsten Regisseuren des britischen Kinos der letzten Jahrzehnte. Sein Durchbruch gelang ihm 1996 mit dem Kultfilm Trainspotting, einer schonungslosen Milieustudie über eine junge Drogengeneration im Edinburgh der 90er. Der Film prägte das Image des modernen britischen Films als rebellisch, roh und zugleich künstlerisch anspruchsvoll.
2008 erhielt Boyle internationale Anerkennung und einen Oscar für die Regie von Slumdog Millionär – einem bildgewaltigen Drama über einen Jungen aus den Slums von Mumbai, das gesellschaftliche Ungleichheit mit Märchenelementen verband.
Neben dem Kino inszenierte Boyle auch große mediale Ereignisse: Besonders in Erinnerung blieb seine künstlerische Leitung der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2012 in London (Isles of Wonder) – ein Spektakel, das britische Geschichte, Musik und Gesellschaft mit überraschender Tiefe und Selbstironie verband.
Boyle ist bekannt für seine Vielseitigkeit: Vom Zombie-Genre (28 Days Later) über Science-Fiction (Sunshine) bis zur Biografie über Steve Jobs reicht sein filmisches Spektrum. Politisch und gesellschaftlich wach, versteht er Kino als Spiegel der Zeit – ohne die Bindung an eine feste Ideologie. Seine Filme sind oft mutig, visuell intensiv und zugleich für ein Massenpublikum zugänglich.
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Photograph: Graeme Robertson/The Guardian