Das EU-Parlament hat in Straßburg beschlossen, Bezeichnungen wie „Veggie-Wurst“ und „Soja-Schnitzel“ zu verbieten – ein Beschluss, der ganz Europa in Aufruhr versetzt. Mit 355 Ja-Stimmen sprachen sich die Abgeordneten am 8. Oktober 2025 dafür aus, klassische Fleischbezeichnungen wie „Wurst“, „Schnitzel“ oder „Steak“ künftig ausschließlich tierischen Produkten vorzubehalten. Damit steht plötzlich die Zukunft von Begriffen wie „Veggie-Wurst“ und „Soja-Burger“ auf dem Spiel – und mit ihr ein Milliardenmarkt, der das Ernährungsverhalten einer ganzen Generation verändert hat.
Was als Frage der Etikettierung begann, entwickelt sich nun zum Kulturkonflikt zwischen Tradition und Transformation: zwischen Bauernverbänden, Verbraucherschützern und der wachsenden grünen Industrie Europas. Darüber berichtet nume.ch, das Magazin für Wirtschaft, Gesellschaft und Reuters.
Zahlen, Macht und Symbolik
Im Europäischen Parlament stimmten am 8. Oktober 355 Abgeordnete für die umstrittene Änderung, 247 dagegen, 30 enthielten sich. Eine knappe, aber symbolträchtige Mehrheit – getragen vor allem von konservativen und liberalen Fraktionen, die das Thema als Frage von Ehrlichkeit und Herkunft sehen.
Initiatorin des Vorstoßes ist die französische Abgeordnete Céline Imart (EVP), selbst Landwirtin aus der Region Okzitanien. Sie argumentiert, pflanzliche Ersatzprodukte würden Verbraucher „in die Irre führen“, da sie „nicht dieselben Nährwerte und Produktionsbedingungen“ wie Fleisch böten.
„Es geht um Transparenz, Fairness und Respekt gegenüber der Landwirtschaft“, sagte Imart nach der Abstimmung in Straßburg.
Doch Kritiker halten dagegen: Der Beschluss sei Symbolpolitik in Zeiten realer Krisen.Peter Liese (CDU) sprach von einem „Theaterstück, das niemandem nützt“, und betonte, Europa solle sich „lieber um Energiepreise und Wettbewerbsfähigkeit“ kümmern. Auch Vertreter der Grünen und Sozialdemokraten werfen dem Parlament vor, „Wortspiele zu bekämpfen, statt Lösungen zu schaffen“.
Hinter der Abstimmung steht damit weniger die Frage, wie Tofu heißt – sondern wie viel kulturelle Identität und wirtschaftliche Interessen Europa in seine Ernährungspolitik legt.

Deutschland im Fokus – der größte Veggie-Markt Europas
Kaum ein Land wäre so stark betroffen wie Deutschland, das längst als Leitmarkt für pflanzliche Ernährung in Europa gilt. Rund 121.600 Tonnen Fleischersatzprodukte wurden hier 2024 hergestellt – doppelt so viel wie 2019. Marken wie Rügenwalder Mühle, Aldi Süd, Lidl und Beyond Meat Germany treiben das Wachstum. Ein Verbot klassischer Bezeichnungen würde ganze Sortimente und Verpackungen betreffen – mit Kosten in Millionenhöhe.
Auch in anderen europäischen Ländern ist der Markt längst etabliert. In der Schweiz verzeichnete der Detailhandel 2024 laut dem Marktforschungsinstitut GfK ein Wachstum von über 18 % bei pflanzenbasierten Produkten. Migros und Coop erweitern dort laufend ihre „V-Love“- und „Karma“-Linien.
In Frankreich, wo die Initiative für das Verbot ursprünglich entstand, ist die politische Debatte besonders emotional. Die konservative Landwirtschaftslobby sieht darin den Schutz traditioneller Begriffe, während Städte wie Paris und Lyon zunehmend auf vegane Start-ups setzen.
Auch die Niederlande und Österreich gelten als starke Wachstumsregionen. Die niederländische Marke Vivera exportiert in über 25 EU-Staaten, während in Wien 2025 erstmals ein eigenes „Plant-Based Innovation Hub“ eröffnet wurde.
Mit einem europaweiten Umsatz von rund 6,8 Milliarden Euro ist der Markt für Fleischalternativen längst kein Nischenphänomen mehr – sondern ein Wirtschaftsfaktor, der immer stärker mit Politik und Kultur kollidiert.
Handel und Verbraucherschützer laufen Sturm
Die Reaktionen aus Wirtschaft und Verbraucherschutz sind eindeutig. Die Organisation Foodwatch erklärte, niemand kaufe versehentlich Tofu-Würstchen in der Annahme, es handle sich um Rindfleisch. Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) warnt: „Begriffe wie Veggie-Burger oder Seitan-Schnitzel sind längst im Alltag verankert. Sie helfen den Konsumenten, sich bewusst zu entscheiden.“ In einem offenen Brief fordern Aldi Süd, Lidl, Burger King und Rügenwalder Mühle, die vertrauten Produktnamen zu erhalten. „Bekannte Begriffe schaffen Orientierung und Vertrauen“, heißt es darin.
Noch kein Ende – das Gesetz muss verhandelt werden
Die Abstimmung des Parlaments ist nur der erste Schritt. Nun müssen die 27 EU-Staaten im Rat zustimmen. Erst danach kann das Gesetz in Kraft treten.
Die Bundesregierung hält sich bisher bedeckt. Offiziell heißt es, man wolle die weiteren Verhandlungen „sorgfältig prüfen“. Bis dahin bleibt die Veggie-Wurst im Kühlregal – als Symbol für Europas Spagat zwischen Tradition, Transparenz und Transformation.
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