Am 28. Oktober 2025 startet auf Netflix die Dokumentation „Babo – Die Haftbefehl-Story“. Es ist kein gewöhnlicher Musikfilm, sondern ein psychologisches Porträt – roh, ehrlich und unbequem. Für die einen ist Haftbefehl der Chronist einer Generation, für die anderen ein Spiegel urbaner Widersprüche zwischen Gewalt, Loyalität und Aufstieg. Über zwei Jahre begleiteten ihn die Regisseure Juan Moreno und Sinan Sevinç – ein Ausnahmeprojekt, das man nicht konsumiert, sondern erlebt. Darüber berichtet NUME.ch mit Bezug auf Netflix Schweiz.
Der Mythos aus Offenbach
Wer in Zürich, Basel oder Bern Hip-Hop hört, kennt ihn längst: Aykut Anhan, Sohn kurdischer Eltern, Kind der Vorstädte von Offenbach. Aus einem Leben voller Brüche formte er Sprache, Beats, Haltung. „Ich war nie Schauspieler – das war mein Leben“, sagte Haftbefehl einmal in einem Interview.
2010, mit seinem Debüt Azzlack Stereotyp, veränderte er die deutsche Rapszene. Kein Hochglanz, kein Pathos – nur Realität in Reinform. Sein 2014er Werk Russisch Roulette machte ihn zum Pop-Phänomen und zugleich zum Liebling des Feuilletons. Plötzlich analysierten Kritiker aus Zürichs Kulturredaktionen seine Reime, als handle es sich um moderne Großstadtlyrik.
Doch Ruhm hat seinen Preis. Nach dem gefeierten Schwarzen Album (2022), produziert vom Grimme-Preisträger Benjamin Bazzazian, wurde es still um Haftbefehl. Depressionen, Drogen, Rückzüge. Die Legende schien zu verblassen – bis jetzt.
Der Film, der keine Helden braucht
Regisseur Juan Moreno, bekannt durch das Enthüllungsbuch „Tausend Zeilen Lüge“, und Filmemacher Sinan Sevinç, der in Cannes ausgezeichnet wurde, entschieden sich gegen eine klassische Erfolgserzählung. Sie zeigen den Künstler nicht als Ikone, sondern als Mensch – schwankend zwischen Stärke und Zusammenbruch. Die Kamera bleibt nah: in Hotelzimmern, auf Tourbussen, bei Gesprächen mit seiner Familie.
Die Doku ist gespickt mit Stimmen aus der Szene – Xatar, Moses Pelham, Kool Savas, Peter Fox, Bausa, Liz, Jan Delay. Doch am eindrücklichsten sind die stillen Momente: Haftbefehl allein im Studio, schweigend, während der Beat weiterläuft.
„Wir wollten die Wahrheit hören, nicht die Legende“, sagt Moreno.
Elyas M’Barek – vom Schauspieler zum Chronisten
Überraschend ist, wer hinter der Kamera steht: Elyas M’Barek – bekannt aus Fack ju Göhte – produziert hier erstmals selbst. Gemeinsam mit Pacco-Luca Nitsche gründete er 27 KM’B Pictures und arbeitete eng mit Constantin Film zusammen. „Ein Film hätte das nicht ausgehalten“, erzählt M’Barek in der Netflix-Ankündigung. „Diese Geschichte braucht Realität, kein Drehbuch.“ Aus Gesprächen zwischen M’Barek und Haftbefehl über ein Spielfilmprojekt entstand schließlich die Idee zur Dokumentation – eine Art Selbstbekenntnis in bewegten Bildern.
Zwischen Trauma und Triumph
Die Doku führt durch Orte seiner Vergangenheit – von Offenbachs Plattenbauten bis zu Bühnen in Zürich und Berlin. Sie zeigt, wie Musik für viele Jugendliche aus migrantischen Vierteln zum Ventil wird – nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz, wo Haftbefehl längst Teil der Straßenkultur ist.
In einer Szene blickt er in die Kamera und sagt:
„Ich habe Dinge erlebt, die du nicht im Fernsehen zeigen darfst – und jetzt mache ich es trotzdem.“ Das ist keine Pose, sondern ein Geständnis.
Was die Schweiz mit Haftbefehl verbindet
Auch in der Schweiz hat Haftbefehl Spuren hinterlassen: Im Umfeld von Basel, Zürich und Winterthur prägt sein Sound ganze Crews. Rapper wie Xatar oder Marteria sprechen offen darüber, wie er „das Unaussprechliche sagbar gemacht hat“. Für die hiesige Szene, die oft zwischen Kommerz und Authentizität schwankt, ist Haftbefehl ein Symbol der Echtheit. Netflix Schweiz positioniert den Film entsprechend: nicht als Musikdokumentation, sondern als Sozialstudie über Identität, Herkunft und Überleben in einer fragmentierten Gesellschaft.
Fakten zum Film
Titel: Babo – Die Haftbefehl-Story
Start: 28. Oktober 2025
Verfügbar: weltweit auf Netflix, inklusive Schweiz
Regie: Juan Moreno & Sinan Sevinç
Produktion: Elyas M’Barek & Pacco-Luca Nitsche (27 KM’B Pictures / Constantin Film)
Mitwirkende: Haftbefehl, Nina, Cem und Aytac Anhan, Xatar, Moses Pelham, Kool Savas, Peter Fox, Bausa u. v. m.
Ein Dokument, kein Denkmal
Babo – Die Haftbefehl-Story ist kein Denkmal für einen Musiker, sondern ein Dokument einer Epoche im Wandel – zwischen Schmerz, Ruhm und Selbstreflexion. Die Kamera beobachtet nicht den Star, sondern den Menschen hinter der Pose: Aykut Anhan, zerrissen zwischen Vergangenheit und Verantwortung, gefangen in der Spannung zwischen Erfolg und innerem Zusammenbruch. Seine Geschichte steht stellvertretend für eine Generation, die im Schatten der sozialen Ränder aufwuchs und ihre Stimme erst im Lärm der Straße fand.
Der Film zeigt, wie Rap in Deutschland und der Schweiz längst über Musik hinausgewachsen ist – zu einer Sprache der Identität, die Herkunft, Stolz und Wut vereint. Zwischen Zitat und Beat, zwischen Offenbach und Zürich, zwischen Trauma und Triumph entfaltet sich ein Stück Zeitgeschichte, das ohne Pathos auskommt und gerade deshalb berührt.
Für Netflix Schweiz ist diese Produktion kein weiterer Beitrag zur Popkultur, sondern eine Bestandsaufnahme urbaner Realität – ein ehrlicher, ungeschönter Blick auf ein Leben, das nicht ins Raster passt. Sie erzählt in Beats, Brüchen und Blicken, was sonst oft verschwiegen wird: dass hinter jedem Mythos ein Mensch steht, der darum kämpft, verstanden zu werden.
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