Inkwil, 8. Juni 2025. In einer Welt, die sich immer schneller dreht, gibt es Orte, an denen die Zeit stillzustehen scheint. Inkwil, ein beschauliches Dorf im Kanton Bern, war 2025 Gastgeber eines der bedeutendsten regionalen Ereignisse der Schweiz: dem Oberaargauischen Schwingfest.Was hier stattfand, war kein Event im modernen Sinne, sondern ein kulturelles Ritual, das bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht – ein Fest, das Heimat spürbar macht, wo Tradition gelebt wird und moderne Schweiz auf bäuerliche Werte trifft. Zwischen Zwilchhose, Sägemehl und Muni entsteht hier ein Stück Identität – ehrlich, kraftvoll, berührend. Darüber berichtet NUME.ch.

Ursprung, Rituale und Bedeutung des Schwingens – eine eidgenössische Identität
Das Schwingen ist eine der ältesten Kampfsportarten Europas und eng mit der Geschichte der Schweiz verknüpft. Seine Wurzeln reichen zurück bis ins 13. Jahrhundert, als alpine Viehzüchter sich bei Volksfesten körperlich maßen – nicht aus Aggression, sondern zur Unterhaltung und zur Stärkung der Gemeinschaft.
In den ersten Abbildungen, wie auf dem berühmten Glasgemälde von 1511 aus dem Kloster Engelberg, sieht man bereits Männer, die sich in der für das Schwingen typischen Haltung mit verhakten Armen gegenüberstehen. Damals war das Ringen ein Volkssport, besonders in den Bergregionen, wo Ausdauer, Kraft und Geschicklichkeit überlebenswichtig waren.
Zwilchhosen
Die Kämpfer tragen bis heute Zwilchhosen, grobe Leinenhosen aus robustem Stoff. Der Gegner muss mit einem Griff an diese Hose zu Boden gebracht werden – mit Schwung, Technik und Respekt. Der Griff an die Hose ist kein Zufall: Er stammt aus der bäuerlichen Arbeitswelt, wo robuste Kleidung Alltag war.
Der Sägemehlring
Der Sägemehlplatz symbolisiert Neutralität und Bodenständigkeit. Kein Rasen, kein Sand – sondern Sägemehl aus einheimischem Holz. Es schützt vor Verletzungen, aber vor allem steht es sinnbildlich für das, was Schwingen ist: ein erdverbundener Sport.
Handschlag und Ehren
Besonders bedeutend ist der Ritual-Handschlag: Vor dem Kampf als Zeichen des Respekts, nach dem Kampf als Versöhnung und Ehrung des Gegners. Wer verliert, wird vom Sieger vom Boden aufgerichtet – ein uraltes Symbol für Würde, Gleichwertigkeit und Kameradschaft.
Kränze und Ehrenpreise
Nur die besten Schwinger erhalten einen Kranz, ein Symbol des Erfolgs. Noch wichtiger jedoch sind die Ehrenpreise: keine Pokale oder Geld, sondern handgefertigte Geschenke aus der Region – vom Butterfass bis zum Zucht-Muni. Sie stehen für gelebte Großzügigkeit und Verbundenheit mit dem Boden und der lokalen Wirtschaft.
Nachwuchs und Integration
Traditionell war das Schwingen ein Männersport, aber seit den 1980er Jahren gibt es auch Frauen-Schwingen mit eigenem Verband. Kinder beginnen oft schon mit fünf Jahren und werden früh in Vereine integriert – oft generationenübergreifend.
Inkwil als kulturelle Bühne – das Dorf lebt Tradition
Inkwil, ein 520-Seelen-Dorf im Verwaltungskreis Oberaargau, wurde am 8. Juni 2025 zur kulturellen Hauptbühne des Kantons Bern. Seit über einem Jahr liefen die Planungen für das Oberaargauische Schwingfest – einem der ältesten regionalen Traditionsanlässe der Deutschschweiz, der nur alle sieben Jahre nach Inkwil kommt. Über 1800 Gäste aus dem ganzen Kanton sowie der benachbarten Regionen Luzern, Solothurn und Zürich wurden erwartet – bei einer Bevölkerungszahl von nur knapp über 500 ist das ein Vielfaches der Dorfbewohner.
Rund 240 aktive Helfer, darunter 83 Freiwillige aus dem Schwingklub Kirchberg und über 100 Gemeindemitglieder, waren im Einsatz. Sie verwandelten in nur fünf Tagen die Feldstrasse am Dorfrand in ein voll ausgestattetes Festgelände: mit einem 14-Meter-Sägemehlring, mobilen Tribünen für 1200 Zuschauer, einem Gabentempel mit über 680 gestifteten Preisen, einem Bereich für Kinderwettkämpfe sowie einer Festwirtschaft mit vier Essensständen, zwei Getränkebuden und einer improvisierten Bauernküche.
Schon um 06:00 Uhr morgens wurden auf den Holzöfen Butterzöpfe gebacken, 200 kg Bratwürste vorbereitet, 60 Liter Apfelsaft ausgeschenkt. Kinder in traditionellen Mini-Zwilchhosen verteilten Programme und Süßigkeiten. Fast jeder zweite Hauseingang war dekoriert – mit Geranien, Schweizer Fahnen, bemalten Holzfiguren oder Heugirlanden. Die drei Dorfbrunnen wurden von Familien mit Blumenschmuck geschmückt, einer trug sogar das Muni-Motiv.
Die offizielle Eröffnung um 08:15 Uhr erfolgte musikalisch durch die Musikgesellschaft Inkwil mit dem traditionellen "Berner Marsch", begleitet vom Fahneneinmarsch der Schwinger. Die Atmosphäre war dicht, fast feierlich – nicht als touristische Show, sondern als Rückgriff auf das, was Heimat im bäuerlich-schweizerischen Sinne bedeutet: Gemeinschaft, Stolz, Einfachheit und Handarbeit.
Veranstaltungsort: Feldstrasse 11, 3375 Inkwil, Kanton Bern, Schweiz
Inkwil war für diesen Tag nicht nur ein Dorf, sondern Symbolträger eines lebendigen Kulturerbes. Kein professionelles Mega-Event – sondern eine Manifestation von Zusammenhalt, Ehrenamt und generationsübergreifendem Engagement. Der Tag zeigte: Die Schweiz besteht nicht nur aus Banken und Bergen – sondern auch aus Menschen, die Schwingen als Herzenssache leben.
Programmhöhepunkte im Detail
08:15 Uhr – Einmarsch der Schwinger mit Musik und Fahne
08:30 Uhr – 1. Gang: Michael Moser gegen Curdin Orlik
10:45 Uhr – 2. Gang: Käser gegen Huber, Blitzsieg von Moser
12:00 Uhr – Mittagspause mit Volksmusik und Speisen
13:00 Uhr – 3. bis 5. Gang: Technik und Taktik
17:00 Uhr – Schlussgang mit Entscheidung um Kränze
18:00 Uhr – Preisverleihung: Muni "Röbi" und Ehrenpreise
Die Kämpfer, die Geschichte schrieben
Michael Moser, 19 Jahre alt, wurde zum stillen Helden des Tages. In seinem ersten Gang stellte er gegen Eidgenosse Orlik – ein taktisch brillanter Kampf. Im zweiten Gang folgte ein Blitzsieg.
Remo Käser kehrte zurück, nach Verletzungen und Zweifeln. Gegen Melchior Huber brachte er den legendären "Münger-Murks" zur Anwendung. Kein technisches Kunstwerk, aber ein Zeichen von Willen. Bernhard Kämpf, 36, zeigte mit Fussstich und Kurz, dass Erfahrung im Schwingen nicht zu ersetzen ist. Seine Gesten, seine Ruhe – ein Lehrbuch in schweizerischer Demut.
Hanspeter Luginbühl, 40, schwang gegen einen 14 Jahre Jüngeren. Mit einem inneren Haken legte er Berger ins Sägemehl – das Publikum reagierte mit Standing Ovations.
Gabentempel und gelebte Grosszügigkeit
Über 680 Ehrenpreise waren versammelt: von Bauern gespendete Käse, Wolldecken, handgeschnitzte Bänke, Naturkosmetik und der Muni "Röbi", 680 kg schwer. Es geht nicht ums Geld. Wer hier gewinnt, bekommt Respekt.
Kulinarik, Kinder, Kameradschaft
Rösti mit Spiegelei, Gerstensuppe, Apfelkuchen. Dazu: Jodelgesang, Hornussen-Spiele für Kinder, Bastelwerkstatt mit Edelweiss-Motiven. Die Schweiz zeigte sich in Miniatur, aber mit maximalem Herz.
Anreise und praktische Infos
Adresse: Feldstrasse 11, 3375 Inkwil, Kanton Bern
Bahn: Bis Herzogenbuchsee, Shuttle alle 20 Minuten
Auto: Parkplatz mit Einweisung
Eintritt: CHF 15 (Erwachsene), Kinder gratis
Kommentar eines Historikers
"Das Schwingfest von Inkwil war kein Blick zurück, sondern ein lebendiges Weitertragen. Die Schweiz, wie sie war – und wie sie bleiben kann." In einer Zeit globaler Unruhe ist ein Tag wie dieser ein Anker. Das Oberaargauische 2025 war Heimat im besten Sinne. Und Inkwil: ein Dorf, das Geschichte schrieb.
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Fotos: Moser Manue/plattformj.ch