Im Schweizer Parlament wird derzeit intensiv über ein mögliches Verbot chirurgischer Geschlechtsanpassungen bei Minderjährigen debattiert. Den Anstoß gab Natalie Rickli, Gesundheitsdirektorin des Kantons Zürich und Mitglied der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Im Juli 2025 forderte sie ein nationales Gesetz, das solche Eingriffe bei unter 18-Jährigen untersagt und den Einsatz von Pubertätsblockern nur im Rahmen wissenschaftlicher Studien erlaubt, berichtet nume.ch mit Verweis auf swissinfo.ch.
Später brachte die Zürcher SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel ein ähnliches Anliegen in den Bundesrat ein. Die Abgeordneten müssen nun entscheiden, ob chirurgische und medikamentöse Maßnahmen zur Geschlechtsangleichung bei Jugendlichen künftig verboten oder strenger reguliert werden sollen. Ziel ist, die Anwendung von Pubertätsblockern stärker zu kontrollieren und irreversible Eingriffe zu verhindern.
Eine ideologisch aufgeladene Debatte
Die Diskussion hat sich rasch zu einer ideologisch aufgeladenen Auseinandersetzung entwickelt, obwohl die Zahl der Betroffenen gering ist. Laut der Gratiszeitung 20 Minuten, die sich auf Daten des Bundes beruft, stieg die Zahl solcher Eingriffe zwischen 2018 und 2023 von sieben auf 32 pro Jahr. Dabei handelte es sich ausschließlich um Operationen im Brustbereich (sogenannte Torsoplastiken). Einen spezifischen rechtlichen Rahmen für die Behandlung von Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie gibt es in der Schweiz bisher nicht. Das bestehende Recht ist komplex, die Anwendungspraxis variiert stark zwischen den Kantonen.
Wer entscheidet – Eltern oder Kind
In der Schweiz dürfen Jugendliche über medizinische Eingriffe grundsätzlich selbst entscheiden, auch gegen den Willen ihrer Eltern – vorausgesetzt, sie gelten als „urteilsfähig“. Diese juristische Fähigkeit hängt vom Entwicklungsstand des Kindes und der Schwere des Eingriffs ab. Eine starre Altersgrenze gibt es nicht. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften nennt jedoch Richtwerte: ab sieben Jahren für einfache, ab zwölf für moderate und ab sechzehn für komplexe Eingriffe. Operationen zur Geschlechtsanpassung und die Gabe von Pubertätsblockern fallen in die letzte Kategorie.
2024 veröffentlichte die Nationale Ethikkommission Empfehlungen zum Umgang mit Minderjährigen, die unter Geschlechtsdysphorie leiden. Demnach sind irreversible Eingriffe, etwa an primären Geschlechtsmerkmalen, nur bei nachgewiesener Urteilsfähigkeit des Jugendlichen erlaubt. Eltern können zwar zustimmen, doch Ärztinnen und Ärzte müssen warten, bis der Jugendliche selbst die Tragweite seiner Entscheidung versteht. Pubertätsblocker gelten hingegen als reversible Maßnahme und dürfen früher verschrieben werden – vorausgesetzt, der Jugendliche willigt ein, die Eltern stimmen zu und es besteht eine medizinische Indikation.
Medizinische Realität und rechtliche Unsicherheiten
Die medizinische Praxis zeigt, dass es nur wenige solcher Fälle gibt, sie aber enorme ethische und psychologische Fragen aufwerfen. Viele Ärztinnen und Ärzte fordern eine klarere gesetzliche Regelung, um Rechtssicherheit zu schaffen. Befürworter des Verbots argumentieren, Kinder müssten vor irreversiblen Entscheidungen geschützt werden, während Gegner betonen, dass ein pauschales Verbot das Selbstbestimmungsrecht gefährden könnte. Der Entscheid des Parlaments könnte somit weitreichende Folgen für das Schweizer Gesundheitssystem und die gesellschaftliche Debatte über Geschlechteridentität haben.
Die aktuelle Diskussion zeigt, wie sensibel die Schweizer Gesellschaft auf das Thema Geschlechtsidentität reagiert. Während konservative Kräfte strengere Regeln fordern, plädieren medizinische Fachgesellschaften für individuelle Lösungen und therapeutische Begleitung statt politischer Verbote. Ob ein nationales Gesetz tatsächlich verabschiedet wird, bleibt offen – doch die Debatte hat bereits zu einem tieferen Bewusstsein geführt, wie komplex das Spannungsfeld zwischen medizinischer Ethik, Elternrechten und Selbstbestimmung junger Menschen ist. Die Schweiz steht damit an einem Scheideweg zwischen Schutzpflicht und Freiheit.
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