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Nayib Bukele ist kein Produkt der politischen Tradition El Salvadors – er ist ihr Bruch. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2019 formt er das Land nach einem Modell, das weder liberal-demokratisch noch klassisch autoritär ist, sondern etwas radikal Neues: zentralisiert, digital gesteuert, populistisch inszeniert und sicherheitspolitisch absolut.

Der Ausnahmezustand, der im März 2022 verhängt wurde, gilt noch heute. Über 83.000 Menschen wurden seither inhaftiert, meist ohne Anklage oder rechtliches Gehör. Parallel dazu wurden Justiz, Parlament und Presse systematisch umgestaltet oder ausgeschaltet.

Und doch: Bukele genießt hohe Zustimmung. Nicht trotz, sondern wegen seiner Härte. In einem Land, das Jahrzehnte unter der Gewalt krimineller Banden litt, gilt seine Präsidentschaft für viele als historische Wende – für andere als ein riskanter Präzedenzfall.

Das Herzstück seiner Sicherheitsarchitektur ist das CECOT – das Centro de Confinamiento del Terrorismo, ein Ort, der weltweit Aufmerksamkeit erregt und längst mehr ist als nur ein Gefängnis: Er ist ein Symbol der neuen Ordnung.

Wie REnewz berichtet, markiert Bukeles Regierungsstil eine Zäsur – für El Salvador, für Lateinamerika und für die politische Idee der Demokratie selbst.

Ein Mann, der das politische System seiner Heimat gesprengt hat

Bukele wurde am 24. Juli 1981 in San Salvador geboren. Seine Familie stammt aus palästinensischen Einwanderern; der Vater, Armando Bukele, war Imam und Unternehmer. Der Sohn studierte Jura, brach das Studium jedoch ab und gründete eine Werbeagentur. Früh setzte er auf visuelles Branding – ein Werkzeug, das später seine gesamte Politik prägen sollte.

Seinen Einstieg in die Politik machte er in der ehemals marxistischen Partei FMLN. 2012 wurde er Bürgermeister von Nuevo Cuscatlán, 2015 dann von San Salvador. Als er parteiintern in Konflikt geriet – unter anderem wegen autoritären Führungsstils –, wurde er ausgeschlossen. 2017 gründete er seine eigene Bewegung Nuevas Ideas. Zwei Jahre später gewann er die Präsidentschaft mit über 53 % der Stimmen – ohne Parteizugehörigkeit, ohne Erfahrung auf nationaler Ebene, aber mit dem Versprechen eines radikalen Neuanfangs.

Was ist El Salvador

El Salvador – das kleinste Land Zentralamerikas – zählt rund 6,5 Millionen Einwohner. Es grenzt an Guatemala, Honduras und den Pazifik. Die Geschichte des Landes ist von Gewalt geprägt: Militärdiktaturen, ein blutiger Bürgerkrieg (1980–1992) und in den 2000ern die Eskalation durch Bandenkriminalität.

Zwei Banden dominieren seit Jahrzehnten das öffentliche Leben: Mara Salvatrucha (MS-13) und Barrio 18. Sie entstanden ursprünglich in Los Angeles und kehrten mit deportierten Migranten in den 90ern zurück nach Zentralamerika. Die Regierung hatte kaum Kontrolle über viele Stadtteile, die faktisch von den Banden beherrscht wurden. Schutzgelderpressung, Rekrutierung von Jugendlichen und gezielte Morde waren Alltag.

EZEQUIEL BECERRA / AFP via Getty Images

Ausnahmezustand als Dauerzustand

Am 27. März 2022 – nach einem Wochenende mit über 80 Morden – erklärte Bukele den estado de excepción(Ausnahmezustand). Der Kongress, dominiert von seiner Partei, segnete die Maßnahme ab. Der Ausnahmezustand schränkte elementare Grundrechte ein: Versammlungsfreiheit, das Recht auf rechtlichen Beistand und die Unschuldsvermutung wurden ausgesetzt. Er wurde bis heute 37-mal verlängert.

Mehr als 80.000 Menschen wurden seither verhaftet. Offizielle Zahlen sprechen von der „größten Säuberung der Geschichte“. Menschenrechtsorganisationen widersprechen. Laut Human Rights Watch wurden Tausende Unschuldige ohne Beweise inhaftiert. Familien warten teils seit Monaten ohne Kontakt auf Informationen über ihre Angehörigen. Im Mai 2023 starben laut El Faro mindestens 153 Menschen in staatlichem Gewahrsam.

Ein staatliches Megagefängnis – CECOT – wurde im Februar 2023 eröffnet. Es bietet Platz für 40.000 Häftlinge. In einem inszenierten Video zeigt Bukele, wie halbnackte Gefangene, kahlgeschoren, in Ketten und in Reih und Glied auf dem Betonboden kauern. Der Clip wurde auf dem offiziellen Präsidentenkanal veröffentlicht – als „Botschaft an die Kriminellen“ („Mensaje a las pandillas“ – Bukele via Twitter/X, 28.2.2023).

Zentrum zur Internierung von Terroristen // Pressestelle des Präsidenten von El Salvador

Die Rolle der Justiz: „Verfassung? Ich mach mir eine.“

El Salvadors Verfassung untersagt die unmittelbare Wiederwahl des Präsidenten (Art. 152). Doch im September 2021 erklärte das von Bukele neu besetzte Verfassungsgericht diese Regelung für „neu auszulegen“ – ein Vorgang, den Verfassungsjuristen als „institutionellen Staatsstreich“ bezeichnen (Oscar Cabrera, Juraprofessor an der Universidad de El Salvador, zitiert in El País, 7.9.2021).

Bukele kandidierte 2024 erneut – mit dem Slogan: „5 more years“. Er gewann mit 85,4 % der Stimmen. Die OSZE sandte keine Beobachter. Die EU verzichtete auf eine Bewertung. Oppositionsparteien hatten keinen gleichberechtigten Zugang zu Medien, mehrere Kandidaten wurden juristisch blockiert. Die nationale Wahlkommission stand unter Kontrolle seiner Partei.

Medien, Kontrolle und Propaganda

Bukele nutzt soziale Medien wie ein CEO der Aufmerksamkeit. Er hat 6,8 Millionen Follower auf X – mehr als ein Drittel der Bevölkerung El Salvadors. Regierungspolitik wird per Tweet verkündet. Klassische Medien gelten als „Teil der alten Ordnung“. Investigative Journalist:innen – wie das Team von El Faro – berichten über Einschüchterungen, Überwachung durch die Spionagesoftware Pegasus und gezielte Steuerermittlungen.

„Es gibt keine Pressefreiheit mehr“, sagte Carlos Dada, Chefredakteur von El Faro, in einem Interview mit DW(28.10.2023). Die Zeitung hat ihren rechtlichen Sitz mittlerweile nach Costa Rica verlegt.

Bitcoin: Ideologie oder Illusion

Am 7. September 2021 erklärte Bukele Bitcoin zur gesetzlichen Währung El Salvadors – neben dem US-Dollar. Ziel: Innovation, finanzielle Inklusion, Unabhängigkeit vom IWF. Das Gesetz wurde in nur drei Tagen verabschiedet. Die Bevölkerung erhielt per „Chivo“-App 30 Dollar in Bitcoin als Startguthaben.

Doch das Projekt scheiterte faktisch. Laut einer Umfrage der Central American University (UCA, Oktober 2022) nutzten nur 24 % der Menschen regelmäßig Bitcoin. Über 70 % äußerten kein Vertrauen in die digitale Währung. Die „Bitcoin City“, die Bukele mit Vulkan-Energie bauen wollte, blieb ein PR-Gag. Der staatliche Bitcoin-Fonds verlor laut Bloombergbis zu 70 % an Wert im Jahr 2022.

Ein politischer Stil – zwischen Selfie und Sicherheitsstaat

Bukele inszeniert sich als Mischung aus Technokrat, Messias und Straßenjunge. Sein Auftritt bei der UN-Generalversammlung 2019 ging viral, als er vor seiner Rede ein Selfie von sich am Rednerpult machte. Im selben Jahr bezeichnete er sich in einem Interview mit Fox News als „coolster Präsident der Welt“ („the world’s coolest president“ – Fox News, 4.12.2019).

Doch hinter der PR-Maschine steht ein knallhartes Machtkalkül: eine Monarchie des Likes, gestützt auf Polizei, Militär und Legislative. 2023 kündigte Bukele ein Gesetzespaket zur „nationalen moralischen Erneuerung“ an – es umfasst Schuluniformpflicht, Medienzensur und höhere Strafen für kritische Lehrer:innen.

Die Zahlen im Überblick

JahrMaßnahmeWirkung oder Kritik
2019Wahlsieg mit 53 %Bruch mit FMLN und ARENA-Parteien
März 2022AusnahmezustandÜber 80.000 Festnahmen bis Juni 2025
Feb. 2023Eröffnung Megagefängnis CECOTInternationale Kritik wegen Menschenrechtsverletzungen
Feb. 2024Wiederwahl mit 85,4 %Verfassungsbruch, kaum internationale Beobachtung
2021–2023Bitcoin als LandeswährungVerfehlte Ziele, Kursverluste, Vertrauensverlust

Was Nayib Bukele in El Salvador aufgebaut hat, ist kein temporäres Projekt. Es ist ein System, das auf Dauer angelegt ist – stabilisiert durch Angst, Zustimmung und mediale Eigenmacht. Der Staat funktioniert nach neuen Regeln, seine Institutionen sind auf Linie gebracht, seine Kommunikation folgt einem einzigen Zentrum.

Ob dieses Modell exportierbar ist oder in sich zusammenbricht, bleibt offen. Fest steht: El Salvador ist zum Referenzfall geworden – für eine Ära, in der Demokratie nicht mehr durch Verfahren, sondern durch Wirkung legitimiert wird.

Bukele steuert diesen Prozess persönlich – nicht über Regierungssprecher, sondern direkt. Auf X (vormals Twitter) folgen ihm über 7,2 Millionen Menschen (@nayibbukele), auf Instagram über 6,3 Millionen, auf TikTok verzeichnet sein offizieller Kanal mehr als 5 Millionen Abonnenten. Er nutzt diese Plattformen nicht als Ergänzung, sondern als Regierungsinstrument.

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